Auschwitz-Projekt

55 Schüler, sechs Begleiter, drei Lager, sechs Millionen Tote – eine Arbeitsgruppe des Friedrich-Ebert-Gymnasiums besuchte mit der städtischen Jugendpflege die Überreste der Konzentrationslager im polnischen Auschwitz.
Weiterlesen: op-online vom 06.03.2018

Es ist ein Teil des Geschichtsunterrichts, der in die Gegenwart führt: Zum 27. Mal besuchten 40 Schüler und vier Lehrer des Mühlheimer Friedrich-Ebert-Gymnasiums im Auschwitz-Projekt das wie nichts anderes als Synonym für den Massenmord während des Nationalsozialismus stehende ehemalige Konzentrationslager. Weiterlesen: OP-online 30.01.2017

Mehr als 30 Schüler des Mühlheimer Friedrich-Ebert-Gymnasiums (FEG) haben das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz, fast inmitten der polnischen Stadt Oswiecim, besucht. Jetzt stellten die Zwölftklässler ihre Projektergebnisse vor.
Weiterlesen: Offenbach Post – online vom 15.03.2016

Wie jedes Jahr am FEG machte die 11. Klasse eine Studienfahrt in ein Konzentrationslager. Dabei konnten die Schüler wählen zwischen einer Fahrt nach Weimar / Buchenwald und Auschwitz in den Ort Oswiecim. Am 19.09.2015 trafen sich die Teilnehmer der Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz am Hauptbahnhof in Frankfurt, um mit dem Reisebus ihre 15-stündige Fahrt nach Polen anzutreten.

Dort angekommen bezogen die Schüler Quartier in einem katholischen Internat/Kloster, wo die Kommunikation eine Herausforderung war, weil leider kaum ein Bewohner Deutsch sprach – und wir quasi kein Polnisch. Danach ging es weiter zur Erkundung der Stadt und dem ersten Geldumtausch der Schüler von Euro in Zlotty. Am Abend folgte dann die erste Plenumsrunde, bei der sich alle in einem Klassenraum versammelten, um über den weiteren Verlauf der Fahrt zu reden und den genauen Plan für den nächsten Tag zu besprechen.

Der nächste Tag begann mit einem Besuch in der Synagoge und dem dazugehörigen Museum im ehemaligen jüdischen Zentrum von Oswiecim. Sie ist das einzige, was noch vom jüdischen Zentrum übrig geblieben ist und beinhaltet Erinnerungsstücke von einigen Juden, die damals in diesem Ort lebten. Wir durften auch den eigentlichen Gebetsraum besichtigen, in dem eine besondere Tafel hing. Anhand der Inschrift dieser Tafel hatte man damals erkannt, dass es sich bei den Trümmern dieses Gebäudes um eine Synagoge handelte. Nach der Besichtigung des Museums ging es weiter ins Stammlager Auschwitz I. Dort angekommen begannen wir eine interessante Führung, zu der wir in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Wir passierten das berühmte Tor mit der makabren Inschrift „Arbeit macht frei“, so wie einst die Häftlinge. Die Tour führte uns durch die Wohnblöcke, den Krankenblock, den Todesblock und den für medizinische Untersuchungen, zum Beispiel des berühmten, auch unter dem Namen „Der Todesengel“ bekannten KZ-Arztes Doktor Mengele an jungen Frauen, Kleinwüchsigen, Zwillingen und vielen mehr. In einem Block befanden sich hinter Glasscheiben enorme Mengen an Haaren, Prothesen, Schuhen, Brillen, Koffern und Kleidung. Alles Dinge, die den Juden von den Nationalsozialisten genommen wurden. Die Tatsache, dass diese Kilos an Haaren nur ein Bruchteil dessen waren, was die Nationalsozialisten abgeschnitten und weiterverarbeitet hatten, überwältigte unsere Gruppe von Schülern bei diesem Anblick. Weiterhin besichtigten wir das Krematorium und einen Raum, in dem sich ein Buch befand, das mehrere Meter hoch und noch weitere Meter dicker war und welches die Namen aller Opfer beinhaltete. Wieder einmal waren es die schiere Größe und die große Anzahl an Namen, die bewegten. Auch dieser beeindruckende und anstrengende Tag fand ein Ende in unserer Jugendherberge.

An diesem Montag sollte nun die Besichtigung von Auschwitz II folgen, besser bekannt als Birkenau. Viele Schüler fotografierten gleich zu Beginn die Bahngleise vor dem Eingang, auf denen die Züge eintrafen. Der Unterschied zum am vorigen Tag besichtigten Teil der Gedenkstätte Auschwitz waren die gigantischen Ausmaße des Lagers, die Anzahl an Krematorien, denn dort gab es nicht wie in Auschwitz I ein Krematorium, sondern gleich vier.  Es gab ein Frauenlager, ein Lager für Kinder, für Männer, für Sinti und Roma, ein Zwillingslager, ein Familienlager, ein Krankenlager, das immer überfüllt war und ein Todeslager, wo die Menschen nur noch auf ihren Abtransport in eine der Gaskammern warteten und noch viele mehr. Alle Baracken waren gleich aufgebaut. Sie waren länglich und beinhalteten mehrere Stockbetten in langen Reihen. Die sogenannte „Judenrampe“ befand sich direkt hinter dem großen Eingang und war Schauplatz der nationalsozialistischen Grausamkeit in Form von Selektionen. Einiges war noch erhalten geblieben oder vom Museum restauriert worden, doch zum Beispiel die Krematorien waren alle zertrümmert. Drei davon, sowie das Gebäude, welches „Kanada“ genannt wurde, wo alle den Juden entwendeten Gegenstände aufbewahrt wurden, waren von der SS in die Luft gesprengt worden, um die Spuren zu vernichten. Ein Sonderkommando, einer Gruppe aus Häftlingen, selbst zum Tode verurteilt, weil sie sich um die Behandlung der Leichen kümmerten, besorgte sich Sprengstoff und zerstörte eine Gaskammer und ein Krematorium. Alle Täter wurden gehängt. All dies erfuhren wir an diesem Tag. Von nun an sollten wir in den nächsten Tagen die Lager selbst erkunden und dabei auch Recherche für die vertiefende Gruppenarbeit betreiben sowie Bild- und Videomaterial sammeln. Dazu erhielten wir besondere Besucherausweise, die uns jederzeit den Eintritt in die beiden Gedenkstätten ermöglichten. Es gab drei Gruppen. Die eine beschäftigte sich mit der Medizin in Auschwitz, die andere mit den Frauen und die dritte arbeitete an der Aufarbeitung des Nationalsozialismus bzw. an der Präsenz dieses Themas in unserer heutigen Gesellschaft.

An diesem Abend gab es auch noch ein Fußballspiel gegen die Internatsmannschaft. Trotz kräftiger Anfeuerungen verlor unser Team das erste Match knapp. Auch beim Volleyballspiel am nächsten Tag verlor unsere Mannschaft, doch der Kampfgeist war da.

Am Mittwoch ging es nach Krakau. Unser Ausflug begann mit einem Kulturprogramm und wir besichtigten die schönsten Sehenswürdigkeiten der Stadt unter Führung von Herr Schmidt. Danach durften die Schüler in Kleingruppen in die Innenstadt und dort ihre Zeit frei nutzen. Nach einem anstrengenden Tag ging es dann mit unserem Reisebus zurück ins Internat.

Der Donnerstag begann er mit einem Zeitzeugengespräch. Wir versammelten uns im Theatersaal des Klosters und lauschten aufmerksam den Worten des Zeitzeugen. Er berichtete uns von seiner Gefangennahme wegen seiner Zeit in einer Widerstandsgruppe.  Er litt unter vielen Krankheiten, stand sogar unter Quarantäne und musste beispielsweise die Toiletten säubern. Er war Teilnehmer der Todesmärsche, konnte aber währenddessen entkommen. Es war aufregend, Auschwitz auch einmal aus der Perspektive eines Nicht-Juden beschrieben zu bekommen und gleichzeitig war die reine Anwesenheit des Mannes schon etwas Besonderes, was uns nach seinem Bericht klar wurde. Es war schwer, sich nach diesem Gespräch wieder auf die Gruppenarbeit zu konzentrieren, doch allmählich begannen die Gruppen wieder vor Ort Material zu sammeln, denn es war eine der letzten Gelegenheiten, das Lager zu durchstreifen. Generell war es eine gute Möglichkeit, immerzu Zutritt zum Lager zu haben und so auch ohne Führung Informationen zu erlangen. Es war unser letzter Abend im Kloster und wir verbrachten ihn zusammen mit unseren Mitbewohnern aus Polen bei einem gemütlichen, geselligen Grillabend, der die nationalen Zugehörigkeiten in den Hintergrund rücken ließ.

Der letzte Morgen war nun angebrochen und die Koffer wurden gepackt und die Zimmer geräumt. Dann folgte unser letzter Besuch im Lager. Diesmal sollte uns etwas Besonderes zuteil werden. Wir wurden durch die Künstlerbaracke geführt, in der sich Bilder von Häftlingen befanden, sowie eine originale Tür einer Gaskammer. Wir erfuhren viel über die Nationalsozialisten, die die Juden zwangen für ihre Zwecke zu malen, doch auch heimlich entstandene Kunstwerke gab es zu bestaunen. Jedes Bild hatte eine Geschichte, die es wert war, zu hören. Portraits von zum Tode Verurteilten, Karten des Geländes, Häftlinge… Dies sollten die letzten Eindrücke sein, die wir vom Lager bekamen, denn es war an der Zeit, sich zu verabschieden und auf eine Zeit voller neuer Erkenntnisse und Erfahrungen zurückzublicken. Um 17:20 verließen die Teilnehmer des Auschwitzprojektes des Jahres 2015 die Stadt Oswiecim, doch nicht ohne einen Teil davon unweigerlich für immer bei sich zu tragen.

Nachdem wir, dreißig Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums, uns am ersten Tag in unserer Unterkunft, dem „Zentrum für Dialog und Gebet“, in Auschwitz eingefunden hatten, begannen wir die zwei darauffolgenden Tage, nach dem Frühstück, mit Führungen.

Die Besichtigung des Stammlagers war für den ersten der beiden Tage angesetzt. Für nahezu jeden von uns war dies die erste Begehung eines Konzentrationslagers. Auch wenn sich jeder schon im Unterricht mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt hatte, war die direkte Konfrontation vor Ort noch einmal eine ganz andere Erfahrung. Während der gesamten Führung zog sich über unsere Gesichter abwechselnd, oder gar gleichzeitig, Entsetzen und Spachlosigkeit. Welche grausamen Taten sich dort, genau an diesem Platz, zugetragen hatten, wollte und konnte man sich teilweise nicht vorstellen.

Nach der Besichtigung des gesamten Geländes mit all den verschiedenen Blocks, in denen heute jeweils die Geschichte der Verfolgten einer bestimmten Nationalität, durch ganz unterschiedliche Medien, erläutert wird, hatten wir selbst noch etwas Zeit, um das Museumsgelände in kleinen Gruppen zu erkunden.

Am zweiten Tag hatten wir dann eine Führung im einige Minuten entfernten Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Eins war klar: Nachdem uns im Stammlager klar geworden war, wie sadistisch diese Verbrechen waren, wurde uns in Birkenau erst bewusst, welches Ausmaß die Verfolgung im Dritten Reich allein in Auschwitz gehabt hatte. Obwohl viele Teile des Geländes nicht mehr erhalten sind, erwies sich die Führung durch das große Areal als sehr interessant.

An den folgenden Tagen haben wir dann angefangen, uns in Gruppen zu organisieren und uns auf besondere Themen zu spezialisieren. So befassten sich die Gruppen beispielsweise mit der Situation der Häftlinge oder der Persönlichkeit der Täter, indem sie verschiedenste Quellen, von autobiografischen Schriften bis hin zu Gerichtsakten, durcharbeiteten. Dadurch, dass wir direkt vor Ort waren und Stellen, die in unseren Quellen erwähnt wurden, selbst aufsuchen konnten, war es insgesamt eine sehr praxisorientierte und interessante Arbeit.

Die anschließenden Tage verbrachten wir abwechselnd mit inhaltlichen Arbeitsphasen, einem Zeitzeugengespräch, weiteren individuellen Begehungen des Konzentrationslagers, aber auch mit einem Aufenthalt in Krakau und verschiedenen Gruppentreffen und Gesprächen. Der Ausflug nach Krakau, wo wir zusammen mit Schülern unserer polnischen Partnerschule aus Radomsko neben der Innenstadt auch das jüdische Viertel und das Stadtmuseum besichtigt haben, stellte für uns eine Abwechslung dar. Das Zeitzeugengespräch mit dem KZ-Überlebenden Carol Tendera war für alle ein wirkliches Schlüsselerlebnis, nachdem er uns seine bewegende Geschichte erzählt hatte, ließ er es sich mit seiner charismatischen Persönlichkeit nicht nehmen, uns viele Lebensweisheiten mit auf den Weg zu geben.

Erste Ergebnisse der Gruppenarbeit konnten wir uns gegenseitig bereits in Polen präsentierten, erst in Mühlheim haben wir dann aber angefangen, den eigentlichen Themenabend zum Gedenken anlässlich der Befreiung des KZs am 27. Januar 1945 zu planen. Dabei haben wir Wege gesucht, unser Wissen möglichst anschaulich für die Zuschauer darzustellen. Wir nutzten hauptsächlich Informationen, die wir uns in Auschwitz erarbeitet hatten, aber auch teilweise Wissenswertes aus hier erarbeiteten Studien und Workshops zum Thema Antisemitismus und Rassismus, an welchen wir in Frankfurt teilnahmen. Aus einigen Treffen und intensiver Gruppenarbeit resultierte unsere umfangreiche Projektpräsentation als Themenabend mit verschiedensten Beitragen, wie z.B. einem möglichen inneren Monolog eines Täters, einer Bühnendiskussion zur Erinnerungskultur  oder einer Plakatausstellung zur Entstehung von Fremdenfeindlichkeit.

Die eigentliche Frage ist nun, was wir persönlich an Erfahrungen aus dem gesamten Projekt mitgenommen haben. Das Motto unser eigentlichen Präsentation lautete: „Mensch erinnere, was in Auschwitz dir geschah!“ Zu Beginn des Projektes haben wir in Auschwitz selbst diese Erfahrung gemacht, bevor wir sie bei der Vorstellung wiederrum unserem Publikum vermitteln konnten. Sicher könnte man sagen, dass die im Unterricht vermittelten Informationen reichen, um sich einen Eindruck vom Holocaust und der Situation der Verfolgten im Dritten Reich zu machen. Allerdings ist es nochmal etwas ganz anderes, sich so direkt, vor Ort, mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Anders als manche vielleicht  denken, war unsere einwöchige Konfrontation in Auschwitz selbst nicht zu emotional, um das Thema analytisch zu betrachten. Auch, wenn uns natürlich die schockierenden Geschehnisse dieses Ortes sehr beschäftigt haben, konnten wir seine Geschichte sachlich bearbeiten. Des Weiteren hatte ich den Eindruck, dass das Auschwitzprojekt sich über die Grenzen seines Titels ausweitet. Auschwitz steht, mit seiner Größe, nicht nur stellvertretend für alle anderen Konzentrationslager, sondern auch allgemein für die Verfolgung von Minoritäten im Dritten Reich und als mahnendes Beispiel für alle neueren Formen von Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Wir versuchten, nicht nur das Schicksal der Opfer darzustellen, sondern beispielsweise auch das Verhalten der Aufseher in den Gerichtsprozessen. Wir wollten das Thema von den verschiedensten Stellen aus beleuchten und auch einen Fokus auf die Auswirkung für die Zukunft legen. Die Ursache für „Auschwitz“, der Antisemitismus und das generelle Diskriminieren sozialer Minderheiten, spielten eine große Rolle. So betonte besonders unsere kleine Ausstellung, welche Relevanz dieses Problem auch in unserer heutigen Gesellschaft leider noch hat. Somit beinhaltete das Projekt mehr als das, worauf man es im ersten Moment vielleicht reduziert. Über all dieses Wissen über den Holocaust und soziale Diskriminierungen hinaus, war es eine ganz neue Erfahrung, ein so großes Projekt selbst zu erarbeiten. Diese Erfahrung gemacht zu haben, hat uns gezeigt, wie wichtig ein koordiniertes Zusammenarbeiten ist und besonders, wie umfangreich ein solches Projekt hinter den Kulissen ist.

Auch wenn das Projekt insgesamt sehr zeitintensiv und teilweise anstrengend war, ist der Ertrag groß gewesen. Die Möglichkeit, so intensiv und praxisorientiert an einem Thema zu arbeiten, gibt es sehr selten ist. Da man jedoch sehr daran wächst, kann ich die Begegnung mit diesem Ort nur weiterempfehlen.

Kazimierz Smolen ist im zweiundneunzigsten Lebensjahr gestorben. Er war politischer Häftling im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Später wurde er dann Leiter der Gedenkstätte und des Museums, als die das Lager heute in Oswiecim (Südpolen) erhalten wird.

Herr Smolen ist dem Auschwitzprojekt, das das FEG gemeinsam mit der Bergschule in Apolda seit mehr als zwanzig Jahren durchführt, immer verbunden gewesen. Als Zeitzeuge hat er viele Jahre lang unsere Projektgruppen durch das Lager geführt und sie bei den Recherchen in den Archiven unterstützt.

Ich habe Herrn Smolen im Jahre 2000 in Oswiecim kennen- und sehr schätzen gelernt. Er hat die schrecklichen Ereignisse der Jahre im Lager drastisch und unverstellt beschrieben, und er hat den jungen Leuten durch sein Beispiel gezeigt, wie er als Opfer des nationalsozialistischen Terrors sein Leben meistert und seinen Beitrag dazu leistet, dass Menschen verstehen, sich dem Wiederaufleben des Ungeistes der Nationalsozialisten zu widersetzen.

Mit Kazimierz Smolen ist einer der letzen Zeitzeugen verstorben. Wir trauern um ihn. Unser ehemaliger Kollege, Herr Jürgen Bartholome, und der ehemalige Lehrer der Bergschule, Herr Thomas Thieme, haben an den Trauerfeierlichkeiten in Oswiecim teilgenommen und für beide Schulen einen Kranz niedergelegt. Der folgernde Bericht vom Trauergottesdienst wurde von Jürgen Bartholome und Angelika Horz verfasst.
Jürgen Hegener, Schulleiter des FEG

„Wir wollen Ihnen nicht Auschwitz erklären. Wer es kennen lernen möchte, fährt lieber selbst hin.“ Die das sagen, meinen es ernst. 24 Jugendliche der Klassen elf und zwölf der Bergschule Apolda und des Friedrich-Ebert-Gymnasiums (FEG) in Mühlheim waren da, im berüchtigsten Vernichtungslager der Nazis. „Das Erlebnis hat jeden ganz persönlich berührt und uns alle verändert“, fasst ein Mädchen zusammen, „es hat Bekannte zu Freunden zusammen geschweißt.“Gut acht Tage haben sie sich zwischen Appellhof und Erschießungsmauer, Bordell und Gaskammern aufgehalten und ihre Eindrücke in eine Präsentation gepackt, die unter die Haut geht. Mit Hilfe von zwei Künstlern aus Wien und Frankfurt haben sie ihre Gefühle in sehr persönliche Worte gefasst, in eigenwillige Fotos und in Video-Collagen, die sie am Donnerstagabend, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, zum Teil live einspielen.

Der Saal des Jugendzentrums an der Rodaustraße ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Besucher sitzen in ungewohnter Dunkelheit, vernehmen Zuggeräusche, Schritte, Schreie. Dann blicken sie auf Zeichnungen aus dem Lager, auf Fotos von ausgemergelten Körpern, traurigen Kindergestalten. Selbst gedrehte Sequenzen mit gesenkter Kamera deuten den Gang der Deportierten zu ihren Unterkünften an. Der Blick in einen dunklen Flur, durch den eine Person bedächtig schreitet, erinnert an den letzten Gang von 1,5 Millionen Menschen.

Mit bedeckter Stimme stellen Schülerinnen das Unfassbare ihrem Unverständnis gegenüber. „Wie konnte die Menschheit das zulassen?“ Die Gruppe „Kunst & Lyrik“ spielt Aufnahmen von einem Versuch ein, bei dem Probanden scheinbar immer höhere Stromstöße für falsche Antworten vermeintlicher Kandidaten abgeben. Das Experiment belege, das Menschen trotz Skrupel andere verletzen könnten, weil sie die Verantwortung dafür bei den Befehlsgebern sähen.

Die Jugendlichen ziehen eine Videokamera über einen selbst gezeichneten Plan von der Anlage und geben dabei die Standard-Führung mit ganz persönlichen Merkmalen wider. Spielen die Phasen der Bestraften nach, die bis zu 18 Stunden stehen mussten. Oder den stoischen Marsch von den Viehwaggons in den Todesblock, in dem allein ein Kind die Ängste aller laut ausspricht.

Als „roter Faden“ taucht in allen Bildern des Foto-Teams ein alter Schuh auf, geht den Weg der Gefangenen mit. Die Schüler haben die Punkte ausfindig gemacht, die von einem Überlebenden in einem Buch geschildert werden. Stacheldraht und Nachbildungen der Zaunpfosten bringen eine beklemmende Atmosphäre in den sonst so mit viel Leben erfüllten JUZ-Flur.

FEG-Schulleiter Jürgen Hegener erfüllte der Abend mit großem Respekt. Das 1990 von Geschichtslehrer Jürgen Bartholome ins Leben gerufene Projekt werde auch in diesem Jahr fortgeführt, so Hegener.

„Wir müssen uns immer wieder an das maschinelle Morden erinnern“, appelliert der Weimarer Kreistagsabgeordnete und Betreuer Dirk Schütz, „und uns nicht nur bei einer Weltmeisterschaft als Deutsche fühlen“.

Es ist Tradition in Mühlheim, dass man anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November den verfolgten und ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ein ehrendes Angedenken bewahrt. Diese Aufgabe nehmen jedes Jahr Schülerinnen und Schüler des Friedrich-Ebert-Gymnasiums wahr.

Unterstützt werden sie dabei unter anderem von den politisch Verantwortlichen der Stadt Mühlheim und vom DGB. Auch in diesem Jahr wird deshalb am Sonntag, 9. November, um 18 Uhr am Mühlheimer Wachthäuschen eine kleine Gedenkfeier abgehalten.Schülerinnen und Schüler aus der Jahrgangsstufe zwölf, die vor kurzem in Auschwitz waren, werden mahnende Worte sprechen. Es wird wieder eine Blumenschale aufgestellt, die an die Opfer und an das Leiden dieser Menschen erinnern soll. Im Anschluss wird ein Schweigemarsch zum Platz der Synagoge in der Friedrichstraße stattfinden, die am 9. November 1938, also vor siebzig Jahren, angezündet wurde. Der Vorsitzende des Mühlheimer Geschichtsvereins, Karl Heinz Stier, wird an dieses Ereignis erinnern.
Die gesamte Schülergruppe, die im Oktober das Konzentrationslager in Auschwitz besucht hat (also auch Schülerinnen und Schüler der Bergschule in Apolda), wird den Angaben zufolge am 25. Januar des nächsten Jahres anlässlich des Tages der Befreiung des Lagers im Mühlheimer Jugendzentrum die Arbeitsergebnisse präsentieren.

Ausschnitt aus dem Einführungsvortrag zur diesjährigen Präsentation des Auschwitz-Projektes von Reinhard Badzura, Fachbereichsleiter der Gesellschaftswissenschaften

(…) Das Auschwitz-Projekt, das heißt die zweiwöchige Fahrt einer Schülergruppe der 12. Jahrgangsstufe nach Auschwitz gemeinsam mit SchülerInnen der Bergschule in Apolda und die anschließende Präsentation in Apolda und Mühlheim, ist inzwischen über die Schulgemeinde hinaus bekannt und mehrfach ausgezeichnet worden. Das und die langjährige Tradition weisen auf die Bedeutung hin, die diesem Projekt zukommt.

Darüber hinaus hat es für unsere Schule im Rahmen der Historischen Bildung einen besonderen Stellenwert, und zwar bezogen auf beide Bereiche dieses Begriffes.

Altkanzler Helmut Schmidt hat neulich in einem langen Interview gesagt, dass Auschwitz auf lange Zeit hin und noch nach vielen Generation mit den Deutschen verknüpft sein, ihnen gleichsam als Gepäck mit auf ihren Lebensweg gegeben wird.

Wenn es so ist, dann ist die Fahrt nach Auschwitz nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft. Sie ist aber nicht nur eine Fahrt in eine Zukunft, sondern auch eine Erfahrung und zugleich Voraussetzung dafür, diese Zukunft bewältigen und gestalten zu können.

Sicherlich ersetzt sie nicht das Verstehen und Erkennen von Prozessen, die zu Auschwitz geführt und die aus „Menschen Massenmörder“ gemacht haben, aber sie kann ein wesentlicher Impuls dazu sein, dieses Verstehen und Erkennen zu beginnen. Auschwitz ist genau der Ort, an dem Nähe und Distanz, die beiden Voraussetzungen für das Verstehen von Geschichte, gegeben sind. Es ist nicht einfach nur ein „außerschulischer Lernort“, sondern auch ein Ort, an dem eigentlich mehr Fragen entstehen als Antworten gegeben werden.

Insofern findet in diesen vierzehn Tagen der Recherche in den beiden Lagern (Auschwitz I und Birkenau), der Gespräche miteinander und mit ausländischen Besuchern, des Studiums im Archiv, der Renovierungsarbeiten – und der Fassungslosigkeit so etwas wie Bildung statt..

Denn Bildung bedeutet immer mehr als Wissen, sie ist verankert im Menschen, sie hat etwas mit Orientierung zu tun – und insofern ist sie auch auf Erfahrungen und Selbst-Erfahrung, Verstörung und Selbstreflexion angewiesen. Und dieser Ort wirft uns auf uns zurück, er berührt uns in unserer Identität.

Die Schule muss mehr wollen als bloße Wissensvermittlung, denn diese würde zu Oberflächlichkeit, die ihre eigene Oberflächlichkeit nicht mehr erkennte, führen. Das bedeutet aber auch eine Entschleunigung von Lernprozessen in Zeiten der Beschleunigung. G8 und Bachelor seien hier nur genannt.

Insofern ermöglicht das Auschwitz-Projekt einen den schulischen Alltag ergänzenden Bildungsprozess, der das ganze Subjekt erfasst. (…)

Ich freue mich, dass auch im vergangenen Jahr die Fahrt nach Auschwitz auf so großes Interesse bei Schülerinnen und Schülern gestoßen ist – was offensichtlich der generalisierenden These von der „hedonistischen Jugend“, die nur auf kurzfristige Lustmaximierung aus ist, widerspricht, zumal derartige Fahrten nicht mehr ohne Preis zu haben sind; sind sie doch

eingebettet in einen Schulalltag, der im Zeichen von G8 und Landesabitur immer verplanter und dessen Kerngeschäft, der normale Unterricht, kostbarer wird. Jede ausgefallene Stunde muss sozusagen selbständig nachgearbeitet werden. Insofern haben die Schülerinnen und Schüler mit dieser wahrhaftigen Studienfahrt Mehrarbeit auf sich genommen.

Ich danke daher den SchülerInnen für ihr Engagement. Darüber hinaus danke ich den Kollegen, die die SchülerInnen im vergangenen Herbst nach Auschwitz begleitet haben, Jochen Haberer und Michael Schmidt aus unserer Schule und Thomas Thieme aus der Bergschule, sehr für ihre Arbeit und die Möglichkeiten, die sie den SchülerInnen eröffnet haben. Schließlich möchte ich die Jugendpflege der Stadt Mühlheim und diese selbst nennen, ohne deren personelle und materielle Unterstützung das Projekt so nicht möglich wäre.

Reinhard Badzura, Mühlheim am 25.1.2009

Er sagte u.a.: „(…) Immer wieder haben mir Jugendliche berichtet, wie sehr ihr Interesse an Geschichte, ihr Engagement und ihr Verantwortungsbewusstsein für ein gutes Miteinander gerade dadurch beflügelt wurden, dass sie den Spuren der Vergangenheit in ihrem heutigen Alltag nachgingen, dass sie zum Beispiel das Schicksal jüdischer Schüler an ihrer eigenen Schule erforschten und mit Zeitzeugen darüber sprachen, wie damals eine Minderheit ausgegrenzt und verteufelt wurde, und dass sie schließlich überlegten: Wie kann ich das, was ich erfahren und gelernt habe, meinen Mitschülern vermitteln – auch denen, die nichts davon wissen wollen?

Es gibt viele gute Beispiele für Initiativen, die den Schulunterricht ergänzen und vertiefen können und deren Erfahrungen möglichst allen zugänglich sein sollten. Ich denke etwa an (…) an die Schüler aus Apolda in Thüringen und Mühlheim am Main in Hessen, die seit der friedlichen Revolution in der DDR jedes Jahr gemeinsam nach Auschwitz fahren. Im ehemaligen Konzentrationslager helfen sie bei Erhaltungsarbeiten, sie betreiben eigene Recherchen und lassen die Eindrücke dieses Ortes auf sich wirken. Einen Teil ihres Aufenthalts verbringen sie in den Familien von Schülern einer polnischen Partnerschule. So verbindet sich Erinnerungsarbeit mit Völkerverständigung – und junge Menschen lernen fürs Leben.

Ich wünsche mir, dass die vielen guten Erinnerungsprojekte, die es in unserem Land bereits gibt, immer neue Nachahmer und Nachfolger finden. Ich wünsche mir, dass vor allem junge Menschen weiter auf Spurensuche gehen und sich darum bemühen, den Opfern und den Tätern Namen und Gesicht zu geben – dort, wo sie gelebt und gearbeitet haben; dort, wo sie unsere Nachbarn hätten sein können.“

Ausschnitt aus der Rede des Bundespräsidenten am 27.01.2009 im Deutschen Bundestag